Quelle: Bildarchiv, Tokio National Museum

Der erste bildhafte Nachweis des asymmetrischen japanischen Bogens ist auf einer Dôtaku (glockenähnliches Bronzeobjekt) aus der Yayoi Periode (ca. 300 v. u. Z. - 300 u. Z.) dargestellt, siehe Abb. rechts.

Der Bogen hat in der japanischen Kultur und in der japanischen Naturreligion Shinto nach wie vor eine große Bedeutung und findet bei verschiedenen Gelegenheiten Einsatz. Bei Neujahrs-Zeremonien und besonderen Anlässen wird die Kraft des Bogens benutzt, um den Ort und Geist zu reinigen und böse Kräfte zu vertreiben.

Wie in vielen Kulturen der Welt spielte der Bogen als "Fernwaffe" bei der Jagd oder bei kriegerischen Auseinandersetzungen auch in Japan eine große Rolle. Der Bogen gehörte mit dem Schwert zusammen zur Ausrüstung des Samurai und die Kunst des Bogenschießens wurde intensiv studiert.

 

 

Inagaki Sensei, Koshiya Demonstration

Mit der Einführung der Feuerwaffen in der Mitte des 16. Jahrhundert verlor der Bogen seine militärische Bedeutung. Er gehörte jedoch nach wie vor zur Grundausstattung des Samurai. Die technischen Fähigkeiten und psychologischen Einsichten, die über Jahrhunderte in Übungs- und Kampfsituationen gewonnen worden waren, wurden weiterhin geschätzt, gepflegt und bewahrt.

Das Bogenschießen als eine existentielle Übung  –  der „Weg des Bogens“ (Kyû = Bogen, Dô = Weg). Obwohl aufgrund verschiedener geistiger Strömungen und historischer Brüche - z. B. in der Meiji Restauration mit der Abschaffung des Samurai-Standes und nach dem 2. Weltkrieg durch das zeitweilige Verbot der Budo-Künste - viele Traditionen verloren gingen, konnten doch einige Kyudo-Schulen (Ryû) ihre jahrhundertealte Schießtechnik bis heute überliefern.

Darunter die Heki Ryû Insa Ha, nach deren Tradition und Überlieferung in unseren Verein geübt wird.

 

 

Kan Chû Kyû, das Motto der Heki Tô Ryû

   

 

 

 

Inagaki Sensei, Meister der Heki Tô Ryû, 1911 - 1995

Geübt wird mit dem japanischen Langbogen, der ca. 2,30 m lang und traditionell aus Bambus und Holz gefertigt ist und keinerlei Hilfsmittel wie Stabilisatoren oder Zielhilfen hat. Statt der äußeren Bambusschichten wird heute häufig Glas- oder Karbonfaser verwendet. Auffälligstes Merkmal ist seine asymmetrische Form: ca. 1/3 unter und ca. 2/3 über dem Griff. Sie erfordert  eine spezielle Schießtechnik, die über Jahrhunderte entwickelt und perfektioniert wurde. Besondere Bewegungsformen für Wettkämpfe, Prüfungen und Zeremonien in traditioneller japanischer Kleidung sind feste Bestandteile der Kyudoübungen. 

Der Pfeil wird bei normaler Bogenstärke von 12-18 kg horizontal abgeschossen. Die asymmetrische Kraft des Bogens wird mit der linken Hand im Augenblick des Abschusses ausgeglichen. Diese schwierige Schiesstechnik zu erlernen und zu beherrschen, braucht lange Zeit des konzentrierten und steten Übens unter erfahrener Anleitung. Kyûdô kann man weder alleine lernen noch auf Dauer üben.

 

 

So wie man ist, so schießt man auch.
So wie man das Schießen verbessert,
so verbessert man sich selbst.

 

 

Ein Kyudo-Schütze wird durch ständiges Üben nicht nur seine Technik vervollkommnen. Er wird erfahren, warum er nicht mit aller Kraft, aller Konzentration und Gefühl beim Bogenschießen sein kann. Er muss sich fragen, was ihn stört, was ihn verkrampft. Warum kann er nicht konzentriert, gefühlvoll und mit Kraft schießen? So lernt der Schütze auch etwas über sich selbst.

 

 

Wenn jemand versucht, mit Kraft den Schuss zu erzwingen, erfährt er den Widerstand des Bogens. Er lehrt ihn gewissermaßen, dass nicht Zwang zum besseren Ergebnis führt, sondern nur das richtige, angemessene Verhalten einer Sache gegenüber.

Ehrgeiz und Ungeduld sind die Signale, die eine Störung des Schützen anzeigen. Die Schießübungen müssen, soll sich der Erfolg einstellen, Gelassenheit, Beständigkeit und gelöstes Verhalten fördern und erzeugen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sei Sha Hittchû

Sei Sha Hittchû;

Sei = korrekt, richtig

Sha = Schießen

Hittsu = unweigerlich/zwangsläufig

Chû = Treffer

bedeutet, dass korrektes, richtiges Schießen unbedingt/zwangsläufig einen Treffer zur Folge hat. Das Ideal ist korrekt zu schießen, das Resultat ist dann das Treffen. Das ist der einzige richtige Weg das Ziel zu treffen.

 

 

 

 

Sanbun no ni:

(Der Zweite von Dreien)

Nobiai:

(Streckung und Steigern der Kräfte)

Zanshin:

(Die zurückbleibende Form von Körper und Geist)

Warihiza:

(Schießen im Kniestand)

Inagaki Sensei bei einer Eröffnungszeremonie auf einem Seminar in Deutschland

Ursprung der Heki Tô Ryû

Die Heki Tô Ryû wird auch Heki Ryu Insai Ha genannt.

Tô Ryu ist ein Begriff für die vom Shôgun, aus verschiedenen Kampfkünsten, ausgewählten und geförderten Schulen.

Um 1600 wurde Yoshida Issuiken Insai Sensei zum Lehrer für das Bogenschiessen an den Hof des Shogun Tokugawa Ieyasu berufen.

 

 

Genealogie der Heki Tô Ryu. Quelle, Ken Kurosu Sensei

Budô Charta

 

Budô, die japanischen Kriegskünste, haben ihren Ursprung im archaischen Geist der Krieger Japans. Über die Jahrhunderte historischen und sozialen Wandels entwickelten sich die Formen der  traditionellen Künste von Kampftechniken (jutsu) zu Wegen der Selbst-Entwicklung (dô).

 

Im Streben nach der perfekten Einheit von Geist und Technik, ist Budô zu Wegen/Arten des physischen Trainings und geistigen Entwicklung kultiviert und verfeinert worden. Das Studium des Budô begünstigt und fördert Aufmerksamkeit, verbessert das technische Können, stärkt den Körper und vervollkommnet  den Geist. Das moderne Japan hat durch das Budô die traditionellen Werte geerbt, die nach wie vor eine bedeutende Rolle in der Persönlichkeitsbildung eines Japaners spielen. Sie sind eine Quelle unerschöpflicher Kraft und Erneuerung. Als solches genießt das Budô großes internationales Interesse und wird in aller Welt studiert.

 

Doch der neuerliche Trend zur Vernarrtheit in rein technische Fertigkeiten, begleitet von einer übermäßige Ausrichtung  am Gewinnen, sind eine große Bedrohung für das Wesen des Budô. Um jegliche verfälschte Darstellung des Budô zu verhindern, ist jeder Budô-Übende aufgerufen, immer selbstkritisch zu sein und sich zu bemühen, die Werte dieser traditionellen Kultur zu bewahren und zu vervollkommnen.

 

In dieser Hoffnung, die fundamentalen Prinzipien des Budô zu bewahren, haben wir, die Mitgliedsorganisationen der Japanese Budô Association, die Budô Charta verabschiedet.

 

 

ARTIKEL 1: ZIEL DES BUDÔ

Durch körperliches und geistiges Training/Übung in den japanischen Kriegskünsten sterbt es der Budô-Treibende an, seinen Charakter zu bilden, seine Urteilsfähigkeit zu stärken und ein besonnener Mensch zu werden, der auch in der Lage ist, im Großen und Ganzen einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

ARTIKEL 2: KEIKO (Training/Übung)

Beim Training soll der Übende stets mit Respekt und Rücksichtnahme handeln. An den vorgeschriebenen Prinzipien festhaltend und der Versuchung der reinen Verbesserung der technischen Fähigkeiten widerstehend, soll der Übende die perfekte Einheit von Geist, Körper und Technik anstreben.

ARTIKEL 3: SHIAI (Wettkampf)

Sowohl beim Wettkampf oder bei der Ausführung einer Kata (Bewegungsform) soll der Geist, der dem Budô zugrunde liegt, sichtbar werden. Man muss jederzeit sein Bestes geben, mit Bescheidenheit gewinnen, eine Niederlage mit Würde akzeptieren und stets Selbstbeherrschung zeigen.

ARTIKEL 4: DÔJÔ (Trainingshalle)

Das Dôjô ist ein besonderer Raum/Ort, um Geist und Körper zu trainieren. Im Dôjô muss der Übende die Disziplin aufrechterhalten und angemessene Rücksicht und Respekt zeigen. Das Dôjô soll eine ruhige, saubere, sichere und ernsthafte Umgebung sein.

ARTIKEL 5: UNTERRICHT

Lehrer sollen andere stets ermutigen, sich zu bemühen, sich selbst zu verbessern und den Geist und Körper zu trainieren, während sie ihr Verständnis für die technischen Grundlagen des Budô weiterentwickeln. Lehrer dürfen nicht erlauben, dass sich nur auf das Gewinnen oder Verlieren im Wettkampf oder technische Fähigkeiten alleine fokussiert wird. Vor Allem haben Lehrer die Verantwortung, ein Beispiel und Vorbild zu sein.

ARTIKEL 6: FÖRDERUNG DES BUDÔ

Personen, die das Budô fördern, sollen die traditionellen Werte aufrechterhalten, während sie sich eine aufgeschlossene und internationale Sichtweise bewahren. Sie sollen sich anstrengen, um zu der Erforschung und Lehre des Budô beizutragen und ihr Möglichstes tun, Budô in jeder Hinsicht zu fördern.

 

Mitglieds-Organisationen der Japanese Budô Association (Japanische Budô Gesellschaft)

Zen Nihon Jûdô Renmei
(All Japan Jûdô Federation)

Zen Nippon Kendô Renmei
(All Japan Kendô Federation)

Zen Nihon Kyûdô Renmei
(All Nippon Kyûdô Federation)

Nihon Sumô Renmei
(Japan Sumô Federation)

Zen Nihon Karatedô Renmei
(Japan Karatedo Federation)

Aikikai
(Aikikai Foundation)

Shôrinji Kempô Renmei

(Shôrinji Jûkendô Federation)

Zen Nihon Naginata Renmei
(All Japan Naginata Federation)

Zen Nihon Jûkendô Renmei
(All Japan Jûkendô Federation)

Nippon Budôkan
(Nippon Budôkan Foundation)

 

Aufgestellt am 23. April, 1987 durch die Japanese Budô Association (Japanische Budô Gesellschaft)

Die englische Übersetzung wurde am 16. September 2004 überarbeitet.

Copyright © 2004 The Japanese Budo Association.

Quelle: www.nipponbudokan.or.jp/shinkoujigyou/budochater.html

Deutsche Übersetzung der englischen überarbeiteten Übersetzung von 2004.

Çağlar Engin Juli, 2013.


Bemerkenswert ist, dass in der Budô Charta keinerlei Bezüge zu Religiösen, Meditativen oder Weltanschaulichen Dingen oder gar zum Zen-Buddhismus hergestellt oder genannt werden. Es wird rein Bezug genommen auf die tradierten Werte der Budô-Disziplinen.